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Forschungsschwerpunkte am Fachgebiet Politische Theorie
Seit der westdeutschen Gründungskonferenz 1949 zur „Einführung der politischen Wissenschaften an den deutschen Universitäten und Hochschulen“ gehört die „Politische Theorie (und Ideengeschichte)“ zu den Kernbereichen des Fachs.
Ihre Perspektive ist von Beginn an historisch und auf die longue durée ausgerichtet, doch verfährt sie nicht antiquarisch, sondern zielt als kritisches und reflexives Unterfangen immer auf die politischen und gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der politischen Theorien, mit ihren Argumentationsfiguren, Denkstilen und (Vor-)Urteilsbildungen ist unverzichtbar für den wissenschaftlich aufgeklärten Einblick in die Herkunft, die Intensität und Auswirkungen aktueller gesellschaftlicher Konflikte und politischer Problemlagen.
Die Fähigkeit zu diesem Einblick verdankt die Politische Theorie nicht zuletzt der Tatsache, dass sie neben ihrem kritischen und reflexiven Impuls eine grundlegend interdisziplinäre Ausrichtung hat.
Vormals stark mit der Staatsrechtslehre, der klassischen Philosophie und den Geschichtswissenschaften verbunden, kommen heute neue Verbindungen zu sozial-, kultur- und humanwissenschaftlichen Fächern hinzu: z.B. zur historischen und politischen Soziologie, zu Gender und Cultural Studies, zur Wissenschaftsgeschichte und Ethnologie.
Die Politische Theorie am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück knüpft ganz bewusst an diese beiden Elemente der Teildisziplin an: Kritik und Vielsprachigkeit. Methodologisch ist sie „jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik“ einer historischen Diskursanalyse bzw. einer historischen Analytik politischer Rationalitäten verpflichtet. Dabei geht es um ein Verständnis von Politischen Theorie als Praxis kritischer und genealogischer Befragungen und Infragestellung all jener historischen und aktuellen Weisen, die Menschen so oder auf diese Art zu regieren, zu führen und zu beherrschen.
Aus diesem Verständnis ergeben sich vorerst die folgenden Schwerpunkte in Lehre und Forschung:
Sprachen der Politik – Rhetoriken der Macht
In diesem Schwerpunkt geht es zentral um die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Politik wie sie seit der Antike (Rhetorik, Topik, Sophistik) bis in die Gegenwart hinein (historisch-politische Semantik, Semiotik, Diskursanalyse) theoretisch und methodologisch reflektiert wurde und wird.
Wie entstehen bestimmte politische Begriffe bzw. wann erreichen Begriffe überhaupt politische Relevanz und werden zu Einsätzen in politischen Konflikten? Auf welche Weise setzen sie sich durch, werden Teil einer hegemonial Rede- und Bedeutungspraxis, d.h., strukturieren unseren politischen Denkhorizont und Handlungsspielraum?
Analytik und Herkunft der modernen sozialen und politischen Rationalität
In diesem Schwerpunkt steht die historisch-politische Analyse unserer modernen sozialen und politischen Rationalität im Zentrum, insbesondere die politischen Theorie- und Denkströmungen seit der europäischen Aufklärung. Nach wie vor ist diese Periode von 1750 bis 1850 mit ihren Umwälzungen und Revolutionen die Geburtsstunde der modernen europäischen Gesellschaften und Staaten (Volkssouveränität, Demokratie, Nationalstaat, Kapitalismus) und bildet somit den diskursiven Horizont unserer sozioökonomischen und soziokulturellen Wahrnehmungsformen.
Genealogien einer Regierung des Sozialen
Ein dritter Schwerpunkt schließt hier unmittelbar an, nämlich: die Entstehung der politischen Ökonomie, die Genealogie einer modernen Arbeitsgesellschaft und des Wohlfahrtsstaates. Ausgehend vom Konzept der „Gouvernementalität“ bei Michel Foucault und seiner genealogischen Machtanalytik geht es hier um die Weiterführung von eigenen Arbeiten zu Armut und Pauperismus, zu Lohnarbeit und Arbeitslosigkeit als politisch-epistemologische Konzepte und als Formen der Regierung des sozialen Raumes.
Lassen sich neue Weisen der Regierung des Sozialen erkennen oder wird dieses einstmals so mächtige Problematisierungsfeld menschlicher Regierungspraktiken zum Verschwinden gebracht?
Er dachte in anderen Köpfen, und auch in seinem Kopf dachten andere. Das ist das richtige Denken.
B. Brecht